Insbesondere Wechselportale verstanden es wieder, mit publikumswirksamen Veränderungsanalysen zu deutlich steigenden Strompreisen Interesse an den eigenen, provisionsträchtigen Dienstleistungen zu wecken. Dabei lagen sie mit ihren Berechnungen nicht grundsätzlich falsch, tatsächlich lassen sich zum 1. Januar 2020 insgesamt 507 Grundversorgungstarife mit neuer Preisstellung finden, von denen 468 teurer wurden. Berechnet am Abnahmefall eines Familienhaushalts mit 3.500 kWh Jahresverbrauch stiegen die Preise bei den Kunden dieser Versorger rechnerisch um 5,3 Prozent. Betroffen waren davon allerdings zunächst nur 3.839 von über 15.000 Postleitzahl-Ort-Kombinationen in Deutschland, was die Preisanhebungen im landesweiten Durchschnitt relativiert. In 101 Postorten blieben die Preise im neuen Tarif unverändert. In nur 2 Postorten sanken die Preise dagegen leicht, nämlich im Versorgungsgebiet der Nahwerk-Energie in Rheinland-Pfalz (-0,3 Prozent von 981,93 auf 979,31 Euro). Deutliche Preissprünge ließen sich zum Jahreswechsel bei den Stadtwerken Herborn in Hessen (+15,2 Prozent von 940,69 auf 1.083,71 Euro) und der ENRW Energieversorgung Rottweil in Baden-Württemberg (+13,6 Prozent von 892,87 auf 1.013,85 Euro) beobachten. Im gewichteten Durchschnitt, der die Größe der Versorgungsgebiete einberechnet, stiegen die geänderten Preise um +5,5 Prozent. Die Elektrizitätsgenossenschaft Hasbergen in Niedersachsen blieb dabei mit unverändert 816,77 Euro der günstigste Grundversorger, die Stadtwerke Zeitz in Sachsen-Anhalt (+3 Prozent von 1.179,55 auf 1.214,55 Euro) der teuerste.
Eher wenig Bewegung zeigte sich in den Tarifen dagegen zum 1. Februar. Änderungen wurden nur für 875 Postorte veröffentlicht. Davon stiegen die Tarife in 796 Fällen, in 774 sogar um 5 Prozent oder mehr. Nur 79 Postorte mit unveränderten Preisen drückten die durchschnittliche Erhöhung von 8 Prozent im gewichteten Schnitt auf 7,3 Prozent, die Teuerung fällt somit im Schnitt deutlich höher aus als zum Januar. Die stärkste Preiserhöhung nahm die EWR Aktiengesellschaft (Rheinland-Pfalz) in ihrem Tarif „EWR Basisstrom“ (+9,3 Prozent von 967,23 auf 1.057,03 Euro) vor. Auch die niedersächsischen Stadtwerke Osnabrück verteuerten die Grundversorgung deutlich um +9 Prozent auf 964,20 Euro, wobei sich der Preis aber noch unter dem Durchschnitt befindet. Preissenkungen fanden sich keine. Die günstigste neue Tarifierung fand sich trotz siebenprozentiger Anhebung beim EVU Weilerbach in Rheinland-Pfalz (von 835,80 auf 894,60 Euro), die teuerste bei den Stadtwerken Wedel in Schleswig-Holstein (+6,5 Prozent von 1.019,09 auf 1.084,89 Euro).
Obwohl das mediale Interesse nach den ersten beiden Stichtagen des Jahres langsam abflaute, lohnt sich der Blick auf das weitere erste Halbjahr. Denn auch wenn die meisten Tarifanpassungen üblicherweise zum Jahreswechsel vollzogen werden, sobald Netzentgelte und Umlagen bekannt sind, streckten sich die Veröffentlichungen über die erste Jahreshälfte 2020.
Zeitpunkt der Preisänderungen in der Grundversorgung 2020
Zum 1. März waren wieder deutlich mehr Postorte von Tarifanpassungen betroffen. In 2.442 Fällen blieb der Preis unverändert, in 3.445 stiegen die Kosten, nun schon durchschnittlich um 8,9 Prozent. Nur die Gebiete mit aktualisierten Tarifen, aber unveränderten Preisen drückten die durchschnittliche Teuerung noch auf 5 Prozent. In 516 Postorten stiegen die Preise um mehr als 10 Prozent. Hiervon waren auch die Grundversorgungsgebiete der E.ON Energie Deutschland betroffen, z. B. im hessischen Nidderau (+15 Prozent von 919,91 auf 1.058,23 Euro) sowie in großen Teilen der unterschiedlichen Versorgungsgebiete Niedersachsens (+14,4 Prozent von 892,31 auf 1.020,50 Euro; bzw. +13,6 Prozent von 884,74 auf 1.005,22 Euro). Eine Preissenkung nahm nur ein Grundversorger vor. Den damit günstigsten neuen Tarif veröffentlichten die Stadtwerke Baden-Baden in Baden-Württemberg (-1,7 Prozent von 902,37 auf 886,58 Euro), den teuersten die Stadtwerke Burg in Sachsen-Anhalt (+7,6 Prozent von 1.035,92 auf 1.114,68 Euro).
Zum Stichtag 1. April fanden sich keine unveränderten Tarifstellungen oder Senkungen, die den mittleren Preisanstieg noch reduzieren konnten. In 1.839 Postorten stiegen die Preise im Schnitt um 8,8 Prozent, in 539 Fällen um mehr als 10 Prozent. Die Pfalzwerke Aktiengesellschaft in Rheinland-Pfalz erhöhten um +12,9 Prozent (von 922,15 auf 1.041,18 Euro), die niedersächsischen Stadtwerke Garbsen um +12,6 Prozent (von 860,75 auf 969,20 Euro). Der günstigste Tarif fand sich trotz Erhöhung bei den Stadtwerken Hamm (NRW, +4,7 Prozent von 840,40 auf 879,45 Euro), der teuerste mit „Tarif E“ bei den Gemeindewerken Halstenbek in Schleswig-Holstein (+6,1 Prozent von 1.042,15 auf 1.105,15 Euro) – davon ist jedoch auch nur der Postort Halstenbek betroffen.
Doch auch die bereits durchgeführten Preissteigerungen wurden noch übertroffen. Zum 1. Mai verteuerten sich die Grundversorgungstarife in weiteren 1.226 Postorten, in 1.150 davon um mehr als 10 Prozent – im gewichteten Durchschnitt sogar um 13,3 Prozent. Sinkende oder gleichbleibende Preise fanden sich nicht. Dies betraf auch die E.ON Energie Deutschland, diesmal in Schleswig-Holstein (+13,7 Prozent von 1.015,95 auf 1.155,38 Euro) – zugleich der teuerste neu veröffentlichte Preis. Allerdings veröffentlichte E.ON in 5 Postorten im Landkreis Hameln-Pyrmont (Niedersachsen) gleichzeitig auch die günstigste Preisstellung (+3,5 Prozent von 884,74 auf 915,49 Euro). Zum 1. Juni und 1. Juli wurden keine weiteren Grundversorgungstarife veröffentlicht, 1.335 Postorte verbleiben vorerst auf dem Preisniveau des Vorjahres.
Preisänderungen in der Grundversorgung 2020 in Prozent
Abnahmefall: Familienhaushalt, 3.500 kWh/Jahr
Wenig überraschend folgen die beobachteten Preiserhöhungen der angestammten Versorger vielerorts den gestiegenen Verteilnetzentgelten, bspw. in den Netzgebieten der Schleswig-Holstein Netz, EWE Netz, Westnetz, Netze BW oder MITNETZ Strom. Aber es gibt auch Ausnahmen: In Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg bleiben die E.ON-Preise teilweise unverändert, obwohl die Entgelte im E.DIS Netz gestiegen sind. Gleiches lässt sich im Bayernwerk-Netz beobachten.
Nicht immer sind die Preisgestaltungen jedoch nachzuvollziehen. Nach Berechnungen des BDEW machen die Netzentgelte beim betrachteten Abnahmefall im Jahr 2020 durchschnittlich 25 Prozent des Strompreises aus, die Umlagen rund 52 Prozent. Wenn die beiden Preisbestandteile um 5,5 Prozent bzw. rund 3 Prozent gestiegen sind, lassen sich damit keine flächendeckenden Tariferhöhungen um mehr als 10 Prozent erklären, zumal der Börsenpreis für Strom nicht erst seit der Corona-Pandemie deutlich gesunken ist. Auch der Zeitpunkt der Veröffentlichungen macht stutzig: Je später die neuen Preise in Kraft traten, desto höher fiel im Schnitt die Teuerung aus. Fast drängt sich der Verdacht auf, dass besonders unpopuläre Preiserhöhungen bewusst erst später im Halbjahr vorgenommen wurden, um sie nicht der größeren öffentlichen Aufmerksamkeit zu Jahresbeginn auszusetzen.
Nun mögen die Preisgestaltungen der einzelnen Versorger in sich plausibel sein, für Verbraucher stellen sie aber eine deutliche Mehrbelastung dar. Im gewichteten Schnitt über alle aktuellen Grundversorgungstarife muss der Musterhaushalt 1.025,38 statt 968,13 Euro bezahlen. Das entspricht einem Plus von 5,9 Prozent. Zwischen dem günstigsten Versorger EG Hasbergen und dem teuersten, den Stadtwerken Zeitz, liegt dabei eine Preisspreizung von 48,7 Prozent vor. Für Stromvertriebe eröffnet dies dagegen willkommene Chancen – Preissprünge im zweistelligen Prozentbereich sind fast schon eine Einladung, mit einem Wettbewerbsprodukt in den betreffenden Postorten Marktanteile zu erobern.
Besondere Aufmerksamkeit dürfte in diesen Tagen auch die Preisentwicklung in den angestammten Liefergebieten von E.ON und Innogy erfahren. Bereits 2018 stellte sich im Newsletter Endkundentarife Strom Nr. 58 die Frage, wie sich die Grundversorgung nach dem Asset-Tausch von RWE und E.ON entwickeln wird. Mit der aktuellen Klage von 11 Kommunalversorgern (darunter Enercity, Mainova und TEAG sowie Naturstrom) beim Europäischen Gericht (EuG) gegen den Freigabebeschluss der Europäischen Kommission zu dieser sogenannten „Marktneuaufteilung“ könnte das Thema erneut Interesse wecken.
Die Zahlen sind klar: E.ON und Innogy versorgen aktuell insgesamt 6.139 Postleitzahl-Ort-Kombinationen grundständig, in 2.441 davon haben sich die Preise im Jahr 2020 nicht geändert. Preissenkungen gab es keine, aber Erhöhungen in 3.698 Postorten – im Schnitt um 10,9 Prozent. Weitere Mehrheitsbeteiligungen beider Konzerne sind dabei nicht berücksichtigt.
Methodik: Alle Preise verstehen sich netto. Betrachtet wurden insgesamt 15.104 Kombinationen aus Postleitzahl, Ort und Netzgebiet (synonym „Postorte“). Durchschnittswerte wurden – sofern nicht anders gekennzeichnet – nach der Größe des Grundversorgungsgebiets (Anzahl der versorgten Postorte) gewichtet. Den Berechnungen liegt ein Musterhaushalt mit einem Jahresverbrauch von 3.500 kWh in der Grundversorgung zugrunde. In den Veränderungsanalysen wurden die Stichtage 01.01., 01.02., 01.03., 01.04., 01.05., 01.06.2020 mit dem Preisstand vom 31.12.2019 verglichen.