Aktuelles | 11. Oktober 2021

Vorläufige Netzentgelte steigen 2022 erneut

Die europäischen Marktwirtschaften ächzen unter den steigenden Energiepreisen. Die Börsenpreise für Strom und Gas steigen aktuell in ungeahnte Höhen und bringen immer mehr Energievertriebe in ernsthafte wirtschaftliche Schwierigkeiten. Erste Discounter haben bereits die Belieferung ihrer Kunden eingestellt. Inzwischen gaben die ersten Verteilnetzbetreiber die vorläufigen Netzentgelte für das kommende Jahr bekannt und liefern erste Indikatoren, welche Preisbestandteile Energievertriebe für das Jahr 2022 einkalkulieren müssen.

Am 1. Okto­ber hat­ten bereits die vier Über­tra­gungs­netz­be­trei­ber ihre neu­en Ent­gel­te bekannt gege­ben, die sich nach der Ziel­vor­ga­be bun­des­ein­heit­li­cher Ent­gel­te aus dem Netz­ent­gelt­mo­der­ni­sie­rungs­ge­setz von 2017 wei­ter auf­ein­an­der zube­we­gen und spä­tes­tens 2023 auf iden­ti­schem Stand sein sol­len. Auch hier stei­gen die Kos­ten, mit abseh­ba­ren Fol­gen für die Kos­ten­kal­ku­la­tio­nen der Ver­teil­netz­be­trei­ber. Als Begrün­dung wer­den über­wie­gend stei­gen­de Kos­ten für Redis­patch, Inves­ti­tio­nen und Netz­ka­pa­zi­tä­ten genannt. Die Ent­gel­te von Ampri­on und Trans­netBW stei­gen dabei deut­lich stär­ker als die der übri­gen bei­den. Ampri­on kün­dig­te an, dass sich die Ent­gel­te abhän­gig vom Ver­brauchs­ver­hal­ten um bis zu +20 Pro­zent ver­teu­ern kön­nen. Trans­netBW erhöht die Ent­gel­te um rund +11 Pro­zent für durch­schnitt­li­che Kun­den in der Umspan­nung sowie um etwa +14 Pro­zent im Höchst­span­nungs­netz. In der Regel­zo­ne 50Hertz stei­gen die Trans­port­ge­büh­ren dage­gen um +3,0 Pro­zent, in den Über­tra­gungs­net­zen der Ten­neT nur um etwa +0,5 Pro­zent. All­zu star­ke Aus­wir­kun­gen soll­te die­se Kos­ten­ent­wick­lung nicht haben, wie ÜNB Trans­netBW betont: Das Netz­nut­zungs­ent­gelt der Über­tra­gungs­netz­ebe­ne hat am End­kun­den­preis des Letzt­ver­brau­chers einen Anteil von rund fünf Prozent.“

Bei Betrach­tung typi­scher Abnah­me­fäl­le ste­hen die bis­her bekann­ten Ent­gel­te im nach­ge­la­ger­ten Ver­teil­netz jedoch alle­samt auf Anstieg. Aktu­ell sind die vor­läu­fi­gen Preis­blät­ter von zahl­rei­chen Betrei­bern ver­öf­fent­licht, die beson­ders gro­ße Net­ze unter­hal­ten. Dies betrifft bereits 9.811 der deut­schen Post­leit­zahl-Ort-Kom­bi­na­tio­nen und erreicht damit eine Gebiets­ab­de­ckung von rund 66,4 Pro­zent. In den bis­lang ver­öf­fent­lich­ten Preis­stel­lun­gen zeich­nen sich deut­li­che Erhö­hun­gen ab. Pri­vat­haus­hal­te wer­den dem­nach im nach Netz­grö­ße gewich­te­ten Durch­schnitt um bis zu +4,0 Pro­zent höher belas­tet (1.500 kWh +3,9 % auf 177,42 Euro/​Jahr, 4.000 kWh +4,0 % auf 341,63 Euro/​Jahr), Gewer­be­be­trie­be (SLP) um +4,1 % (2.706,19 Euro/​Jahr). Stär­ker fällt die Erhö­hung bei leis­tungs­ge­mes­se­nen Kun­den aus, so stei­gen die Ent­gel­te in der Mit­tel­span­nung (400.000 kWh, 200 kW, <2.500 Benut­zungs­stun­den) um +5,1 Pro­zent auf 24.541,03 Euro/​Jahr.

Am Bei­spiel eines typi­schen Fami­li­en­haus­halts mit einem Jah­res­ver­brauch von 3.500 kWh stei­gen die vor­läu­fi­gen Netz­nut­zungs­ent­gel­te um durch­schnitt­lich +4,0 Pro­zent bzw. 0,34 Cent je ver­brauch­ter Kilo­watt­stun­de. Auf den Jah­res­ver­brauch hoch­ge­rech­net steigt die Strom­rech­nung dadurch um 11,90 Euro. Eine Preis­sen­kung hat bis­lang kein Netz­be­trei­ber ange­kün­digt. Allen­falls mar­gi­na­le Stei­ge­run­gen fin­den sich bei der Bay­ern­werk Netz (+0,8 % auf 7,50 ct/​kWh) und der eben­falls baye­ri­schen LEW Ver­teil­netz (+1,0 % auf 8,06 ct/​kWh). Bei­de Preis­stel­lun­gen blei­ben damit noch unter dem Durch­schnitt der bis­lang ver­öf­fent­lich­ten vor­läu­fi­gen Entgelte.

Pro­zen­tua­le Ver­än­de­rung der vor­läu­fi­gen Netz­ent­gel­te Strom 2022 gegen­über 2021
Abnah­me­fall: Fami­­­li­en-Haus­halt, 3.500 kWh/​Jahr, SLP, Niederspannung

Die stärks­te Erhö­hung lässt sich dem­ge­gen­über bei der Ener­vie Ver­netzt (NRW) fest­stel­len. Die dor­ti­gen Prei­se stei­gen um +21,3 Pro­zent, blei­ben aber mit 8,20 ct/​kWh noch unter dem Durch­schnitts­wert. Auch im Netz der KEEP — Kom­mu­na­le Eisen­ber­ger Ener­gie­part­ner in Rhein­land-Pfalz stei­gen die Ent­gel­te deut­lich um +16,7 Pro­zent auf über­durch­schnitt­li­che 10,59 ct/​kWh. Damit zäh­len sie auch zu den drei teu­ers­ten Betrei­bern unter den aktu­el­len Ver­öf­fent­li­chun­gen. Im Ver­teil­ge­biet der weser­netz Bre­men stei­gen die Prei­se eben­falls um +13,5 Pro­zent, doch Netz­kun­den pro­fi­tie­ren noch immer von sehr güns­ti­gen Ent­gel­ten in Höhe von 6,15 ct/​kWh. Damit gehört die weser­netz noch zu den drei güns­tigs­ten Unter­neh­men unter den bereits bekann­ten Preisblättern.

Preis­ni­veau der vor­läu­fi­gen Netz­ent­gel­te Strom 2022 in ct/​kWh
Abnah­me­fall: Fami­­­li­en-Haus­halt, 3.500 kWh/​Jahr, SLP, Niederspannung

Die höchs­ten Ent­gel­te hat bis­lang die Schles­wig-Hol­stein Netz mit 12,19 ct/​kWh ange­kün­digt (+6,4 %). Die Prei­se der WEMAG Netz in Meck­len­burg-Vor­pom­mern sind mit 10,76 ct/​kWh eben­falls ver­gleichs­wei­se hoch (+8,7 %). Die güns­tigs­ten Ent­gel­te unter den neu­en Preis­stel­lun­gen fin­den sich dage­gen bei der SWM Infra­struk­tur, dem Netz­be­trei­ber der Stadt­wer­ke Mün­chen. Hier lie­gen die Kos­ten je durch­ge­lei­te­ter Kilo­watt­stun­de bei 5,98 Cent (+6,0 %). Auch die Mann­hei­mer MVV Net­ze zäh­len trotz mode­ra­ter Erhö­hung um +3,7 Pro­zent auf 6,19 ct/​kWh noch zu den güns­ti­ge­ren Verteilnetzbetreibern.

Mode­ra­te Stei­ge­run­gen auch im Gas

Im Gas zeigt sich dage­gen eigent­lich eine deut­li­che Ent­span­nung. Nach­dem im Zuge der Markt­ge­biets­zu­sam­men­le­gung von Gas­pool und Net­Con­nect Ger­ma­ny zum Tra­ding Hub Euro­pe (THE) erst­mals ein gemein­sa­mer Exit-Preis in Höhe von 3,80 EUR/(kWh/h)/a ermit­telt wur­de, sinkt die­ser 2022 bereits auf 3,51 EUR/(kWh/h)/a. Gleich­zei­tig fällt der Bio­gas­wäl­zungs­be­trag von 0,6250 auf 0,574 €/​kWh/​h/​a. Nur die Markt­raum­um­stel­lungs­um­la­ge steigt leicht von 0,7291 auf 0,7335 Euro/​kWh/​h/​a. In Sum­me sin­ken die vor­ge­la­ger­ten Kos­ten somit um rund ‑6,5 Prozent.

Doch auch im Gas stei­gen die Ver­teil­netz­ent­gel­te trotz allem, hier jedoch mode­ra­ter als im Strom. Dies zeigt eine Aus­wer­tung der vor­läu­fi­gen Preis­blät­ter von Netz­be­trei­bern, die zusam­men rund 50 Pro­zent der gas­ver­sorg­ten Postor­te ange­schlos­sen haben. Pri­vat­haus­hal­te wer­den dem­nach um bis zu +2,4 Pro­zent höher belas­tet (7.000 kWh +2,1 % auf 155,67 Euro/​Jahr, 20.000 kWh +2,4 % auf 346,37 Euro/​Jahr), SLP-Gewer­be­kun­den in der Nie­der­druck­stu­fe (200.000 kWh) müs­sen um +2,8 Pro­zent stei­gen­de Kos­ten ein­kal­ku­lie­ren. Glei­ches gilt für leis­tungs­ge­mes­se­ne Abneh­mer in der Mit­tel­druck­stu­fe (5.000.000 kWh, 1.450 kW), auch hier stei­gen die Ent­gel­te durch­schnitt­lich um +2,8 Pro­zent auf 42.042,89 Euro/​Jahr.

Für einen typi­schen Fami­li­en­haus­halt mit einem jähr­li­chen Gas­ver­brauch von 18.000 kWh stei­gen die vor­läu­fi­gen Ent­gel­te mode­rat um +2,7 Pro­zent auf durch­schnitt­lich 1,76 ct/​kWh. Für den Abnah­me­fall erge­ben sich dar­aus rund 8,17 Euro jähr­li­che Mehr­be­las­tung. Die stärks­te Erhö­hung neh­men dabei die baye­ri­schen Stadt­wer­ke Klin­gen­berg vor, dort stei­gen die Netz­ent­gel­te um +18 Pro­zent auf deut­lich über­durch­schnitt­li­che 2,52 ct/​kWh. Star­ke Anstie­ge sind auch bei der nord­rhein-west­fä­li­schen Rhein-Sieg Netz (+16,5 % auf 2,04 ct/​kWh) und der EAM Netz (+13,4 % auf 1,87 ct/​kWh) mit Sitz in Kas­sel zu beob­ach­ten. In ins­ge­samt 989 Postor­ten stei­gen die Ent­gel­te um +10 oder mehr Prozent.

Pro­zen­tua­le Ver­än­de­rung der vor­läu­fi­gen Netz­ent­gel­te Gas 2022 gegen­über 2021
Abnah­me­fall: Fami­li­en­haus­halt, 18.000 kWh/​a, 11 kW Leistung

Anders als im Strom las­sen sich jedoch in 889 Postor­ten auch redu­zier­te Prei­se fest­stel­len. Allen vor­an senkt die Gas­ver­sor­gung Pforz­hei­mer Land (Baden-Würt­tem­berg) die Ent­gel­te für ihre Netz­kun­den um ‑6,2 Pro­zent auf 1,71 ct/​kWh. Auch im Netz­ge­biet der E.DIS wer­den die Durch­lei­tungs­ge­büh­ren um ‑4,7 Pro­zent gesenkt, ver­blei­ben aber mit 2,61 ct/​kWh auf über­durch­schnitt­lich hohem Niveau und gehö­ren damit zu den teu­ers­ten. Die Gas­an­schlüs­se im Netz der Stadt­wer­ke Pir­na Ener­gie (Sach­sen) wer­den eben­falls güns­ti­ger, die Prei­se fal­len um ‑4,0 Pro­zent auf ver­gleichs­wei­se nied­ri­ge 1,18 ct/​kWh. Ver­trie­ben bie­ten sich hier womög­lich Chan­cen auf höhe­re Deckungsbeiträge.

Das güns­tigs­te Preis­blatt fin­det sich der­zeit bei den Stadt­wer­ken Neu­en­haus, wo die Ent­gel­te trotz Erhö­hung um +11,4 Pro­zent bei 0,89 ct/​kWh lie­gen. Auch Kun­den im Netz der Stadt­wer­ke Schüt­torf-Ems­bü­ren pro­fi­tie­ren von nied­ri­gen Durch­lei­tungs­kos­ten in Höhe von 1,12 ct/​kWh (+4,6 %). Bei­de Net­ze lie­gen in Nie­der­sach­sen. Nahe­zu sta­bil (+0,2 %) blei­ben die Ent­gel­te der Ener­gie­net­ze Bay­ern mit eben­falls nied­ri­gen 1,14 ct/​kWh. Der teu­ers­te Netz­ta­rif fin­det sich dem­ge­gen­über bei den Stadt­wer­ken Ham­mel­burg in Bay­ern, wo die Ent­gel­te um +1,8 Pro­zent auf 2,87 ct/​kWh stei­gen. Auch Gas­kun­den im Netz der Erd­gas Mit­tel­sach­sen blei­ben mit 2,58 ct/​kWh stark belas­tet (+0,3 %).

Preis­ni­veau der vor­läu­fi­gen Netz­ent­gel­te Gas 2022 in ct/​kWh
Abnah­me­fall: Fami­li­en­haus­halt, 18.000 kWh/​a, 11 kW Leistung

Alle Ent­gel­te wur­den mit dem Sta­tus vor­läu­fig“ ver­öf­fent­licht und kön­nen somit zum Jah­res­wech­sel noch ein­mal ange­passt wer­den. Strom­ver­trie­be erwar­ten nun mit Span­nung die Bekannt­ga­be der wei­te­ren Abga­ben und Umla­gen im Lau­fe des Monats. Die EEG-Umla­ge wird wie im Coro­na-Kon­junk­tur­pa­ket beschlos­sen mit Hil­fe von Bun­des­zu­schüs­sen auf maxi­mal 6,00 ct/​kWh gede­ckelt. Dabei gibt es womög­lich sogar Spiel­raum für stär­ke­re Sen­kun­gen. Zum einen ist das EEG-Kon­to durch die stark gestie­ge­nen Bör­sen­strom­prei­se gut gefüllt, da weni­ger Markt­prä­mie aus­ge­schüt­tet wer­den muss­te, zum ande­ren könn­ten Ein­nah­men aus der natio­na­len CO2-Beprei­sung sowie nicht ver­brauch­te Bun­des­mit­tel die Umla­ge wei­ter redu­zie­ren. Der Ber­li­ner Thinktank Ago­ra Ener­gie­wen­de hält daher sogar eine Sen­kung auf bis zu 3,30 ct/​kWh in 2022 für möglich.

Für Strom­ver­trie­be könn­te dies ein wenig Druck aus der Kal­ku­la­ti­on neh­men. Gas­ver­trie­be ste­hen dage­gen mit Sicher­heit wei­ter­hin vor gro­ßen Her­aus­for­de­run­gen – durch weni­ger Umla­gen schlägt die Beschaf­fung deut­lich stär­ker auf den End­kun­den­ta­rif durch. Bei­de Spar­ten wer­den wohl auf sin­ken­de Ener­gie­prei­se nach der Heiz­pe­ri­ode hof­fen müssen.

Metho­dik: Alle Prei­se ver­ste­hen sich net­to. Der durch­schnitt­li­che spe­zi­fi­sche Arbeits­preis der Netz­ent­gel­te wur­de nach Netz­grö­ße (Anzahl der ange­schlos­se­nen Post­leit­zahl-Ort-Kom­bi­na­tio­nen) gewich­tet. In den Berech­nun­gen wur­den nur Netz­be­trei­ber berück­sich­tigt, die bereits ein vor­läu­fi­ges Ent­gelt für 2022 bekannt­ge­ge­ben haben. Der spe­zi­fi­sche Kilo­watt­stun­den­preis setzt sich zusam­men aus den Netz­kos­ten (Arbeits­preis + auf die Jah­res­ar­beit umge­leg­ter Grund­preis) und den Kos­ten für das Mess­sys­tem (Stan­dard­mess­kon­fi­gu­ra­ti­on).

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