Am 1. Oktober hatten bereits die vier Übertragungsnetzbetreiber ihre neuen Entgelte bekannt gegeben, die sich nach der Zielvorgabe bundeseinheitlicher Entgelte aus dem Netzentgeltmodernisierungsgesetz von 2017 weiter aufeinander zubewegen und spätestens 2023 auf identischem Stand sein sollen. Auch hier steigen die Kosten, mit absehbaren Folgen für die Kostenkalkulationen der Verteilnetzbetreiber. Als Begründung werden überwiegend steigende Kosten für Redispatch, Investitionen und Netzkapazitäten genannt. Die Entgelte von Amprion und TransnetBW steigen dabei deutlich stärker als die der übrigen beiden. Amprion kündigte an, dass sich die Entgelte abhängig vom Verbrauchsverhalten um bis zu +20 Prozent verteuern können. TransnetBW erhöht die Entgelte um rund +11 Prozent für durchschnittliche Kunden in der Umspannung sowie um etwa +14 Prozent im Höchstspannungsnetz. In der Regelzone 50Hertz steigen die Transportgebühren dagegen um +3,0 Prozent, in den Übertragungsnetzen der TenneT nur um etwa +0,5 Prozent. Allzu starke Auswirkungen sollte diese Kostenentwicklung nicht haben, wie ÜNB TransnetBW betont: „Das Netznutzungsentgelt der Übertragungsnetzebene hat am Endkundenpreis des Letztverbrauchers einen Anteil von rund fünf Prozent.“
Bei Betrachtung typischer Abnahmefälle stehen die bisher bekannten Entgelte im nachgelagerten Verteilnetz jedoch allesamt auf Anstieg. Aktuell sind die vorläufigen Preisblätter von zahlreichen Betreibern veröffentlicht, die besonders große Netze unterhalten. Dies betrifft bereits 9.811 der deutschen Postleitzahl-Ort-Kombinationen und erreicht damit eine Gebietsabdeckung von rund 66,4 Prozent. In den bislang veröffentlichten Preisstellungen zeichnen sich deutliche Erhöhungen ab. Privathaushalte werden demnach im nach Netzgröße gewichteten Durchschnitt um bis zu +4,0 Prozent höher belastet (1.500 kWh +3,9 % auf 177,42 Euro/Jahr, 4.000 kWh +4,0 % auf 341,63 Euro/Jahr), Gewerbebetriebe (SLP) um +4,1 % (2.706,19 Euro/Jahr). Stärker fällt die Erhöhung bei leistungsgemessenen Kunden aus, so steigen die Entgelte in der Mittelspannung (400.000 kWh, 200 kW, <2.500 Benutzungsstunden) um +5,1 Prozent auf 24.541,03 Euro/Jahr.
Am Beispiel eines typischen Familienhaushalts mit einem Jahresverbrauch von 3.500 kWh steigen die vorläufigen Netznutzungsentgelte um durchschnittlich +4,0 Prozent bzw. 0,34 Cent je verbrauchter Kilowattstunde. Auf den Jahresverbrauch hochgerechnet steigt die Stromrechnung dadurch um 11,90 Euro. Eine Preissenkung hat bislang kein Netzbetreiber angekündigt. Allenfalls marginale Steigerungen finden sich bei der Bayernwerk Netz (+0,8 % auf 7,50 ct/kWh) und der ebenfalls bayerischen LEW Verteilnetz (+1,0 % auf 8,06 ct/kWh). Beide Preisstellungen bleiben damit noch unter dem Durchschnitt der bislang veröffentlichten vorläufigen Entgelte.
Prozentuale Veränderung der vorläufigen Netzentgelte Strom 2022 gegenüber 2021
Abnahmefall: Familien-Haushalt, 3.500 kWh/Jahr, SLP, Niederspannung
Die stärkste Erhöhung lässt sich demgegenüber bei der Enervie Vernetzt (NRW) feststellen. Die dortigen Preise steigen um +21,3 Prozent, bleiben aber mit 8,20 ct/kWh noch unter dem Durchschnittswert. Auch im Netz der KEEP — Kommunale Eisenberger Energiepartner in Rheinland-Pfalz steigen die Entgelte deutlich um +16,7 Prozent auf überdurchschnittliche 10,59 ct/kWh. Damit zählen sie auch zu den drei teuersten Betreibern unter den aktuellen Veröffentlichungen. Im Verteilgebiet der wesernetz Bremen steigen die Preise ebenfalls um +13,5 Prozent, doch Netzkunden profitieren noch immer von sehr günstigen Entgelten in Höhe von 6,15 ct/kWh. Damit gehört die wesernetz noch zu den drei günstigsten Unternehmen unter den bereits bekannten Preisblättern.
Preisniveau der vorläufigen Netzentgelte Strom 2022 in ct/kWh
Abnahmefall: Familien-Haushalt, 3.500 kWh/Jahr, SLP, Niederspannung
Die höchsten Entgelte hat bislang die Schleswig-Holstein Netz mit 12,19 ct/kWh angekündigt (+6,4 %). Die Preise der WEMAG Netz in Mecklenburg-Vorpommern sind mit 10,76 ct/kWh ebenfalls vergleichsweise hoch (+8,7 %). Die günstigsten Entgelte unter den neuen Preisstellungen finden sich dagegen bei der SWM Infrastruktur, dem Netzbetreiber der Stadtwerke München. Hier liegen die Kosten je durchgeleiteter Kilowattstunde bei 5,98 Cent (+6,0 %). Auch die Mannheimer MVV Netze zählen trotz moderater Erhöhung um +3,7 Prozent auf 6,19 ct/kWh noch zu den günstigeren Verteilnetzbetreibern.
Moderate Steigerungen auch im Gas
Im Gas zeigt sich dagegen eigentlich eine deutliche Entspannung. Nachdem im Zuge der Marktgebietszusammenlegung von Gaspool und NetConnect Germany zum Trading Hub Europe (THE) erstmals ein gemeinsamer Exit-Preis in Höhe von 3,80 EUR/(kWh/h)/a ermittelt wurde, sinkt dieser 2022 bereits auf 3,51 EUR/(kWh/h)/a. Gleichzeitig fällt der Biogaswälzungsbetrag von 0,6250 auf 0,574 €/kWh/h/a. Nur die Marktraumumstellungsumlage steigt leicht von 0,7291 auf 0,7335 Euro/kWh/h/a. In Summe sinken die vorgelagerten Kosten somit um rund ‑6,5 Prozent.
Doch auch im Gas steigen die Verteilnetzentgelte trotz allem, hier jedoch moderater als im Strom. Dies zeigt eine Auswertung der vorläufigen Preisblätter von Netzbetreibern, die zusammen rund 50 Prozent der gasversorgten Postorte angeschlossen haben. Privathaushalte werden demnach um bis zu +2,4 Prozent höher belastet (7.000 kWh +2,1 % auf 155,67 Euro/Jahr, 20.000 kWh +2,4 % auf 346,37 Euro/Jahr), SLP-Gewerbekunden in der Niederdruckstufe (200.000 kWh) müssen um +2,8 Prozent steigende Kosten einkalkulieren. Gleiches gilt für leistungsgemessene Abnehmer in der Mitteldruckstufe (5.000.000 kWh, 1.450 kW), auch hier steigen die Entgelte durchschnittlich um +2,8 Prozent auf 42.042,89 Euro/Jahr.
Für einen typischen Familienhaushalt mit einem jährlichen Gasverbrauch von 18.000 kWh steigen die vorläufigen Entgelte moderat um +2,7 Prozent auf durchschnittlich 1,76 ct/kWh. Für den Abnahmefall ergeben sich daraus rund 8,17 Euro jährliche Mehrbelastung. Die stärkste Erhöhung nehmen dabei die bayerischen Stadtwerke Klingenberg vor, dort steigen die Netzentgelte um +18 Prozent auf deutlich überdurchschnittliche 2,52 ct/kWh. Starke Anstiege sind auch bei der nordrhein-westfälischen Rhein-Sieg Netz (+16,5 % auf 2,04 ct/kWh) und der EAM Netz (+13,4 % auf 1,87 ct/kWh) mit Sitz in Kassel zu beobachten. In insgesamt 989 Postorten steigen die Entgelte um +10 oder mehr Prozent.
Prozentuale Veränderung der vorläufigen Netzentgelte Gas 2022 gegenüber 2021
Abnahmefall: Familienhaushalt, 18.000 kWh/a, 11 kW Leistung
Anders als im Strom lassen sich jedoch in 889 Postorten auch reduzierte Preise feststellen. Allen voran senkt die Gasversorgung Pforzheimer Land (Baden-Württemberg) die Entgelte für ihre Netzkunden um ‑6,2 Prozent auf 1,71 ct/kWh. Auch im Netzgebiet der E.DIS werden die Durchleitungsgebühren um ‑4,7 Prozent gesenkt, verbleiben aber mit 2,61 ct/kWh auf überdurchschnittlich hohem Niveau und gehören damit zu den teuersten. Die Gasanschlüsse im Netz der Stadtwerke Pirna Energie (Sachsen) werden ebenfalls günstiger, die Preise fallen um ‑4,0 Prozent auf vergleichsweise niedrige 1,18 ct/kWh. Vertrieben bieten sich hier womöglich Chancen auf höhere Deckungsbeiträge.
Das günstigste Preisblatt findet sich derzeit bei den Stadtwerken Neuenhaus, wo die Entgelte trotz Erhöhung um +11,4 Prozent bei 0,89 ct/kWh liegen. Auch Kunden im Netz der Stadtwerke Schüttorf-Emsbüren profitieren von niedrigen Durchleitungskosten in Höhe von 1,12 ct/kWh (+4,6 %). Beide Netze liegen in Niedersachsen. Nahezu stabil (+0,2 %) bleiben die Entgelte der Energienetze Bayern mit ebenfalls niedrigen 1,14 ct/kWh. Der teuerste Netztarif findet sich demgegenüber bei den Stadtwerken Hammelburg in Bayern, wo die Entgelte um +1,8 Prozent auf 2,87 ct/kWh steigen. Auch Gaskunden im Netz der Erdgas Mittelsachsen bleiben mit 2,58 ct/kWh stark belastet (+0,3 %).
Preisniveau der vorläufigen Netzentgelte Gas 2022 in ct/kWh
Abnahmefall: Familienhaushalt, 18.000 kWh/a, 11 kW Leistung
Alle Entgelte wurden mit dem Status „vorläufig“ veröffentlicht und können somit zum Jahreswechsel noch einmal angepasst werden. Stromvertriebe erwarten nun mit Spannung die Bekanntgabe der weiteren Abgaben und Umlagen im Laufe des Monats. Die EEG-Umlage wird wie im Corona-Konjunkturpaket beschlossen mit Hilfe von Bundeszuschüssen auf maximal 6,00 ct/kWh gedeckelt. Dabei gibt es womöglich sogar Spielraum für stärkere Senkungen. Zum einen ist das EEG-Konto durch die stark gestiegenen Börsenstrompreise gut gefüllt, da weniger Marktprämie ausgeschüttet werden musste, zum anderen könnten Einnahmen aus der nationalen CO2-Bepreisung sowie nicht verbrauchte Bundesmittel die Umlage weiter reduzieren. Der Berliner Thinktank Agora Energiewende hält daher sogar eine Senkung auf bis zu 3,30 ct/kWh in 2022 für möglich.
Für Stromvertriebe könnte dies ein wenig Druck aus der Kalkulation nehmen. Gasvertriebe stehen dagegen mit Sicherheit weiterhin vor großen Herausforderungen – durch weniger Umlagen schlägt die Beschaffung deutlich stärker auf den Endkundentarif durch. Beide Sparten werden wohl auf sinkende Energiepreise nach der Heizperiode hoffen müssen.
Methodik: Alle Preise verstehen sich netto. Der durchschnittliche spezifische Arbeitspreis der Netzentgelte wurde nach Netzgröße (Anzahl der angeschlossenen Postleitzahl-Ort-Kombinationen) gewichtet. In den Berechnungen wurden nur Netzbetreiber berücksichtigt, die bereits ein vorläufiges Entgelt für 2022 bekanntgegeben haben. Der spezifische Kilowattstundenpreis setzt sich zusammen aus den Netzkosten (Arbeitspreis + auf die Jahresarbeit umgelegter Grundpreis) und den Kosten für das Messsystem (Standardmesskonfiguration).