Obwohl diese Voraussetzungen erst einmal einen Spielraum für sinkende Endkundenpreise zu eröffnen schienen, prognostizierten unterschiedliche Vergleichsportale ein gleichzeitiges Ansteigen der Verteilnetzentgelte, das die reduzierte Umlage überkompensieren könne. Ermittelt man einen durchschnittlichen Preis aller Netzbetreiber, die bereits vorläufige Entgelte für das Jahr 2019 bekannt gegeben haben, ist diese Annahme nicht falsch. Es lässt sich so eine prozentuale Steigerung gegenüber 2018 errechnen.
Allerdings ist diese Betrachtung eher realitätsfern, da die Größe der versorgten Netzgebiete vollkommen unberücksichtigt bleibt. Das Unternehmen E‑Werk Karl Stengle aus Baden-Württemberg mit einer versorgten Fläche von 0,3 km2 in der Niederspannung fällt in dieser Berechnung genauso stark ins Gewicht wie die EWE NETZ mit über 17.000 km2 Netzgebiet in Niedersachsen, gleichgültig, wie viele Abnehmer jeweils in der Praxis von den Preisanpassungen betroffen sind.
Sinnvoller ist eine gewichtete Durchschnittsberechnung, in der größere Netzgebiete und damit mehr Abnehmer stärker in das Preismittel einfließen als kleine Betreiber. Basierend auf einer Gewichtung nach versorgten Postleitzahl-Ort-Netz-Kombinationen ergibt sich nämlich ein völlig anderes Bild.
Der folgenden Betrachtung liegen veröffentlichte Entgelte für über 77 Prozent der bundesdeutschen Fläche zugrunde. Für einen Single-Haushalt mit 1.500 kWh Jahresverbrauch bleiben die zu entrichtenden Netzkosten nach jetzigem Stand mit im Schnitt 156,47 Euro nahezu unverändert, die Abweichung beträgt gerade einmal ‑5 ct. Ein Familien-Haushalt mit 4.000 kWh Strombedarf wird dagegen um etwas mehr als 1 Prozent entlastet (2019: 304,39 Euro/Jahr). Ein Gewerbebetrieb (40.000 kWh/Jahr) zahlt mit 2.434,45 Euro rund ‑2,1 Prozent weniger als im laufenden Jahr. Auch im RLM-Bereich kündigen sich Reduzierungen an. Zwar zahlt ein Gewerbebetrieb (100.000 kWh, 35 kW, Niederspannung mit mehr als 2.500 Benutzungsstunden) im Schnitt minimal mehr, im Durchschnitt aber nur 43 ct (bei 6.028,52 Euro Jahreskosten). Mit steigenden Verbräuchen sinken die Entgelte tendenziell wieder, für einen RLM-Kunden in der Mittelspannung (400.000 kWh, 200 kW, < 2500 h) beispielsweise um ‑0,5 Prozent auf 21.256,95 Euro.
Am Beispiel eines Haushalts mit einem Jahresstrombedarf von 3.200 kWh lässt sich beobachten, in welchen Netzgebieten es zu deutlichen Anpassungen nach oben oder unten kommt. Im nach Postorten gewichteten Bundesdurchschnitt sinkt der spezifische Arbeitspreis der Verteilnetzgebühren um ‑1,3 Prozent auf 8,04 ct/kWh. Dabei profitieren Netzkunden der WEMAG Netz in Mecklenburg-Vorpommern von Senkungen um ‑14,7 Prozent, zahlen mit 9,50 ct/kWh jedoch immer noch mehr als im Durchschnitt. Auch in den Netzen der Energie- und Wasserversorgung Hamm (NRW, ‑14,5 Prozent auf 5,61 ct/kWh) und GGEW Bergstraße (Hessen, ‑11,1 Prozent auf 5,58 ct/kWh) profitieren Stromnetzkunden von Reduzierungen um 10 Prozent oder mehr, dies betrifft insgesamt 471 Postorte. Sinkende Entgelte lassen sich in 7.364 und damit fast zwei Dritteln aller Postorte beobachten, unveränderte in 28.
Prozentuale Veränderung der vorläufigen Stromnetzentgelte 2019 gegenüber 2018
Abnahmefall: Familien-Haushalt, 3.200 kWh/Jahr, SLP, Niederspannung
Deutliche Abweichungen ergeben sich auch in Netzgebieten, in denen zum Jahresende ein Betreiberwechsel stattfindet. So übernehmen die Stadtwerke Munster-Bispingen (Niedersachsen) ebendort die Konzession von der EWE Netz, wodurch Netzkunden zukünftig nur noch 5,81 ct/kWh bezahlen. Bliebe das Netzgebiet im Besitz von EWE, würden zukünftig 7,44 ct/kWh fällig, Stromabnehmer sparen somit ‑21,9 Prozent beim spezifischen Arbeitspreis. Ähnlich profitieren Netzkunden in den baden-württembergischen Kommunen Staufen und Müllheim, wo die Konzessionen von der ED Netze auf die bnNetze übergehen. Hier werden mit 5,51 ct/kWh im nächsten Jahr ‑14,9 Prozent niedrigere Entgelte fällig als wenn der Betreiber identisch bliebe.
Eine starke Erhöhung zeigt sich dagegen im Netz der Gemeindlichen Stromversorgung Röttenbach (Bayern). Der spezifische Arbeitspreis steigt um 47,4 Prozent auf 10,80 ct/kWh und zählt damit zu den teureren Entgelten. Steigerungen um mehr als 30 Prozent lassen sich weiterhin in den Netzen des Elektrizitätswerk Simbach (Bayern, +35,1 Prozent auf 9,34 ct/kWh), der Gemeindewerke Stelzenberg (Rheinland-Pfalz, +32 Prozent auf 6,90 ct/kWh) und der Stadtwerke Norderstedt (Schleswig-Holstein, +30,1 Prozent auf 9,22 kWh) beobachten. Von einer Erhöhung von mehr als 10 Prozent sind 382 Postorte betroffen.
Preisniveau der vorläufigen Netzentgelte Strom 2019 in ct/kWh
Abnahmefall: Familien-Haushalt, 3.200 kWh/Jahr, SLP, Niederspannung
Die höchsten Netzkosten finden sich 2019 im Netzgebiet der Gemeindewerke Stammbach (Bayern, 12,31 ct/kWh, +18,4 Prozent). 11 ct/kWh stellen die Versorgungsbetriebe Bordesholm (Schleswig-Holstein, +18,7 Prozent) in Rechnung, 10,76 ct/kWh die Schleswig-Holstein Netz (+2,9 Prozent) in 1.161 betroffenen Postorten. In 3.698 Postorten liegen die Entgelte über dem Bundesdurchschnitt. Besonders günstig ist die Stromverteilung mit 5,31 ct/kWh dagegen im Netz der EVI Energieversorgung Hildesheim (Niedersachsen, +2,3 Prozent), in Germering (Energienetze Bayern, 5,42 ct/kWh, ‑5,7 Prozent), Neu-Isenburg (Hessen, Stadtwerke Neu-Isenburg, 5,51 ct/kWh, +4,4 Prozent) und in Lippstadt (NRW, Stadtwerke Lippstadt, 5,56 ct/kWh, ‑9 Prozent). In 293 Postorten werden 6 ct oder weniger je durchgeleiteter Kilowattstunde berechnet.
Es wird sich noch zeigen müssen, ob die neuen Entgeltstrukturen Vertrieben Spielräume für Preissenkungen eröffnen. Angesichts steigender Börsenpreise unter anderem durch die Verteuerung der CO2-Emissionszertifikate erscheint dies höchstens bei einer langfristig abgesicherten Beschaffungsstrategie denkbar. So reduzieren die steigenden Börsenpreise zwar einerseits die EEG-Umlage, verteuern aber auf der anderen Seite das kurzfristige Portfoliomanagement. Zudem schlägt sich die Reform der Offshore-Umlage auf den Preis nieder. Da ab 2019 nicht mehr nur die Haftung für verzögerte Anschlüsse, sondern die gesamten Ausbaukosten für die Erschließung von Nord- und Ostsee-Windparks über die Umlage finanziert und nicht mehr auf die Netzentgelte gewälzt werden, erhöht sich die Offshore-Netzumlage für nicht-privilegierte Letztverbräuche auf 0,416 ct/kWh und damit auf mehr als das Zehnfache. Die bisherige Kategorisierung nach Letztverbrauchergruppen entfällt zukünftig.
Da alle bisher veröffentlichten Entgelte den Status „vorläufig“ erhalten haben, können sich zum Jahreswechsel noch Änderungen ergeben. Dies wird in einem folgenden Newsletter aufgegriffen.
Methodik: Alle Preise verstehen sich netto. Der durchschnittliche spezifische Arbeitspreis der Netzentgelte wurde nach Netzgröße (Anzahl der angeschlossenen Postorte) gewichtet. In den Berechnungen wurden nur Netzbetreiber berücksichtigt, die bereits ein vorläufiges Entgelt für 2019 bekannt gegeben haben. Der spezifische Kilowattstundenpreis setzt sich zusammen aus den Netzkosten (Arbeitspreis + auf die Jahresarbeit umgelegter Grundpreis) und den Kosten für das Messsystem (Eintarif Drehstromzähler).